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von Ulrich Heinke 19 Aug., 2023
Auf dem Rückweg von den Kapverdischen Inseln machten wir noch einige Tage Station in Lissabon. Bevor es am Sonntag nachmittag weiter nach Berlin ging, wollte ich noch das Museu Calouste Gulbenkian besuchen. Es war viel zu früh, das Museum öffnete erst um 10 Uhr. So blieb mir nur ein Blick von außen und der Besuch des Gartens. Der Park war menschenleer. Es gab einige künstlich angelegte Seen und Wasserläufe, großes Pampasgras wuchs überall. Eine Skulptur die Calouste Gulbenkian darstellte, stand vor der riesigen Figur eines Falken. Ein Horus, einer der Hauptgötter des alten Ägypten. Gulbenkian hatte ein riesiges Vermögen im Ölgeschäft gemacht. Schon sein Vater handelte mit Petroleum. Im Irak wurde das erste Öl bereits 1909 gefunden. Gulbenkian lebte später in London und vermittelte Geschäfte mit den in Europa gerade neu gegründeten Ölkonzernen, zum Beispiel mit Shell. Stets sicherte er sich eine Beteiligung von 5% an den von ihm eingeleiteten Geschäften und Gründungen. Befeuert von seinen beinahe unbegrenzten finanziellen Mitteln, trug er eine riesige Kunstsammlung zusammen. Vielleicht wollte Gulbenkian, der nirgends heimisch wurde, Zeit seines Lebens ein Hypochonder war und ständig einen Medikamentenbeutel mit sich herum trug, sich durch das Sammeln eine Identität verschaffen. Als und aus Vorrat sozusagen. Die hochkarätigen Kunstwerke wurden nach seinem Tod in eine Stiftung eingebracht. Das Stiftungskapital wuchs durch Investitionen in das Ölgeschäft beträchtlich. Im Jahr 2018 wurde schließlich die Öl-Holding verkauft. Seit 2020 vergibt die Stiftung einen Nachhaltigkeitspreis. Ich verließ den Garten des Museums nach einiger Zeit. Die umliegenden Straßen lagen immer noch in sonntäglicher Ruhe. Nur wenige Autos parkten dort, einige Fahrzeuge waren mit einer Abdeckung vor Nässe und Staub geschützt.
von Ulrich Heinke 27 Mai, 2023
In den Wintermonaten arbeitete Jewgeni bei seinem Onkel Arturo in Neapel. Der betrieb dort eine Dampfwäscherei für Segel und Taue. (Übrigens die einzige auf dem europäischen Festland. Eine weitere gab es angeblich noch in Cardiff, Wales. Sein Onkel hatte aber nie den Kontakt dorthin gefunden.) Arturo hielt ein Patent auf das Waschen von Tauen. Um ein Verknoten in den riesigen Waschtrommeln zu vermeiden, wurden die Taue auf spezielle Gestelle aus rostfreien Stahl gewickelt. Diese bugsierte man dann in die Trommeln. Um den entstehenden Lärm in den Trommeln ein wenig zu dämpfen, steckte man aufgeschnittene Tennisbälle auf Kanten und Ecken der Gestelle. Die Bälle lösten sich aber während des Waschens ab und die Maschinen lärmten zum Ende des Waschgangs ganz gehörig. (Die Segel einfach zu Säcken zu verknoten und die Taue dort hineinzustopfen, hatte sich nicht bewährt, die Segel wurden dabei beschädigt.) Im Winter wurden überwiegend Wartungsarbeiten ausgeführt. Nur wenige Maschinen liefen. Besonders die riesigen Schleudern zum Trocknen der Taue und Segel waren nach der Saison nicht mehr zu gebrauchen. Ausgeschlagene Lager, so groß wie die Reifen einer Vespa, mussten ausgetauscht oder wenigstens frisch gefettet werden. Ausschnitt aus dem Text "Die Woche über oben üben" zuerst erschienen in Starship 12 | 2015
von Ulrich Heinke 20 Apr., 2023
Discothèque, Saloon, Pub, Restaurant de Nuit, Cabaret, Disco Bar, Night Club – alles unter einem Dach! Arturo Onyx betreibt dieses Vergnügungskonglomerat in der Peripherie zwischen den Orten Siders / Sierre und Sion im Schweizer Kanton Wallis. Die Universität von Solothurn hat Arturo bestätigt, dass die Sprachgrenze zwischen der deutsch und französisch sprechenden Schweiz mitten über seine Tanzfläche läuft. Ein entsprechendes Zertifikat hat Arturo gerahmt und hinter dem Bartresen aufgehängt. Auf dem Flughafen Basel Mulhouse Freiburg (IATA Codes: BSL, MLH und EAP) betreibt Arturo außerdem das „News-Café“. Die eine Hälfte der Bar liegt auf Schweizer Zollgebiet, während sich der andere Teil in Frankreich befindet. Die Bar wurde streng symmetrisch gestaltet, die Ländergrenze ist zugleich ihre Spiegelachse. Man zahlt in Euro oder Schweizer Franken, abhängig davon, auf welcher Seite der Bar man steht. Ausschnitt aus dem Text "Die Woche über oben üben" zuerst erschienen in Starship 12 | 2015
von Ulrich Heinke 27 März, 2023
Aber schon ein kurzer Blick in die Bücher offenbarte mir eine ganz andere Annäherung an den Hedonismusbegriff. Bei David Baumgardt zum Beispiel wird die Sache gleich sehr fundamental, wenn er in seinen Ausführungen zur Ethik den Hedonismus als Alternative zwischen Machtmoral und Masochismus anlegt. Für Baumgardt hatte Hedonismus nichts mit einer "vulgären Lustmoral" zu tun. Es ging ihm um den Begriff des "kritischen Hedonismus", um die "Widerlegung des Rechtes auf Gewalt im Rahmen einer skrupellosen Machtmoral." Baumgarts Arbeit aus den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verband anglo-amerikanischen Pragmatismus mit traditionell-metaphysischer Sinnsuche. Er sah eine anti-hedonistische Kritik, also eine lustfeindliche Opposition gegen die Machtmoral als verfehlt an: "Denn die Machtmoral ist keineswegs bereits in sich und ihrem Gehalt nach brüchig und unhaltbar. Vorurteilslos erwogen stellt sie vielmehr ein ebenso homogenes oder sogar dogmatisches System der Ethik dar, wie dasjenige ihrer erbittertsten Gegner; und am allerwenigsten lässt es sich durch einen Anti-Hedonismus aus dem Felde schlagen. Der konsequent zu Ende gedachte Hedonismus kann die einzige Handhabe zur Überwindung der Machtmoral bieten, während alle anderen die Herrenmoral negierenden Moralanschauungen ihre Opposition nur auf schwankendem Boden aufbauen können und in einer Sprache und mit Argumenten zu führen imstande sind, die vom Gegner mit Recht als unkritisch, als dogmatisch und blind für die Stärke seiner eigenen Überzeugungen abgetan werden können. (...) Denn, (es) setzen all die zahlreichen antihedonistischen Moraltheorien, die auf dem `Naturrecht´ auf dem Urteil des `gesunden Menschenverstandes´ oder auf `Wertwesenheiten´ aufbauen, angeblich unbestreitbar geltende Werte als unmittelbar gegeben voraus. (...) Denn alle diese Formen der Ethik setzen bereits diejenigen Geltungen unbezweifelt voraus, die allein eine vorurteilslose Ethik erst auf ihre Verbindlichkeit zu prüfen hat. (...) Der Hedonismus besteht zunächst einzig darauf, dass bei näherer Analyse es sich rein faktisch als unwiderlegbar erweist, dass der Mensch (...) die intensivere und länger anhaltende Lust der entsprechenden Unlust vorzuziehen berechtigt ist." (aus David Baumgardt, Jenseits von Machtmoral und Masochismus - Hedonistische Ethik als kritische Alternative, Meisenheim am Clan, Hain, 1977) zitiert in "Rocktexte schreiben", Ulrich Heinke, 1995
von Ulrich Heinke 21 März, 2023
...ja, bevor es weitergeht, lasst mich eins kurz sagen: also, Ihr wisst ja schon, dass ich zu den Songs gerne etwas erzähle. Sicher, die Songs sprechen für sich selbst, klar, dass tun sie, aber wichtig ist mir die Atmosphäre, die hier zwischen uns herrscht und deshalb möchte ich Euch den Inhalt meiner Songs gerne etwas näher bringen: Geschichten über meine Person, meine Musik, einfach damit Ihr mich ein bisschen besser kennenlernt. Ich möchte nicht, dass Ihr hier das Gefühl bekommt, nur Euer Geld "abgedrückt zu haben und das war's dann... und das die Lieder alle so klingen wie zuhause auf Eurem CD-Spieler. Ich möchte, dassIhr mehr mit nach Hause tragt als nur den Eindruck: Hey, das war ein perfektes Konzert. Ich will, dass etwas mit Euch passiert, dass Ihr einen Abend habt, der Euch dazu anregt, über Eure eigene Situation nachzudenken. aus fünf Zwischentexte für Singer/Songwriter - Video, 1995
von Ulrich Heinke 02 März, 2023
Der Plot dürfte bekannt sein: Tom, der Kater jagt Jerry, die Maus. Dabei wird Tom, der potenzielle Täter, zum ewigen Verlierer: Dauernd tappt er in Jerrys tödliche Fallen. Aber Toms Körper besitzt die wunderbare Fähigkeit, sich "im nächsten Bild" sofort wieder zu regenerieren. So geht die Jagd in endlosen Fortsetzungen weiter... Michel de Certeaus Buch "Kunst des Handelns" ist der Versuch einer Beschreibung von Alltagspraktiken. Certeau zeigt, wie sich "kunstvolle Handlungen" ständig den Gesetzmäßigkeiten einer etablierten Ordnung entziehen und neue Realitäten schaffen. Certeaus Definitionen von Ort und Raum, Strategie und Taktik scheinen hilfreich, Tom und Jerrys Situation näher zu beleuchten. Ausschnitt aus dem Text "Tom und Jerry - Perpetuelles Vergnügen in Raum und Zeit", zuerst erschienen in A.N.Y.P Nr. 5 | 1993
von Ulrich Heinke 21 Feb., 2023
Rollos ist keine Eigenschaft von Jalousien! „Das ist in unsere Dachetage in Wunstorf, mit der handgebrochenen Designerlampe. 2012 hatten wir eine Homestory in „Honey H“. Pfeffer- und Salzstreuer stellen wir auf alle unsere Tische, damit wir während des Essens nicht aufstehen müssen. Sukkulenten gehören für mich ins Zentrum jeder gut gedeckten Tafel! Hier ist es eine Crassula Platyphylla Burgundy. Sukkulenten sind die Art Pflanzen, die beim Essen auch mal den Ellenbogen auf den Tisch legen. Die Gardinenfrage ist noch offen, wir experimentieren mit den unterschiedlichsten Varianten.“ Ausschnitt aus dem Text "Die Woche über oben üben" zuerst erschienen in Starship 12 | 2015
von Ulrich Heinke 14 Feb., 2023
Markinsholz war, ganz zufällig, der 150.000ste Passagier auf unserem Regionalflughafen. Damals half ich für kurze Zeit in der Bezirksverwaltung aus. Die Kreisreform führte zur Fusion mit der Nachbargemeinde. Sie suchten jemanden als Lückenfüller für den Übergang, ohne besondere Ambitionen auf eine weitere politische Karriere. Ich hatte gerade einen Prozess wegen mangelhafter Bauausführung verloren und brauchte dringend etwas Geld. Also war ich es, der Markinsholz einen Präsentkorb mit hiesigen Spezialitäten überreichen durfte. Obwohl das Pressefoto am nächsten Tag völlig eindeutig war - was die Verteilung der Rollen betraf - war die Bildunterschrift falsch. Zwar war der Name `Markinsholz´ völlig korrekt geschrieben, aber ich stand auf der rechten Seite, nicht auf der linken, wie es die Bildunterschrift vermerkte. Markinsholz war es peinlich. Ich konnte das nicht verstehen, ein kleines Lokalblatt, eine lapidare Meldung, doch Markinsholz bestand auf Richtigstellung. Also druckte die Zeitung das Bild ein weiteres Mal ab, mit einer kleinen Entschuldigung auf der letzten Seite des Lokalteils. Der Text unter dem Foto war korrigiert, nur leider war die Abbildung seitenverkehrt in die Zeitung gerutscht, alles umsonst, wieder falsch.. Markinsholz konnte das nicht begreifen. Ich hielt ihn mit Mühe von weiteren Beschwerden ab. Markinsholz riss sich die beiden Seiten aus und legte sie auf den Tisch in seinem Zimmer. Irgendwann betrachtete ich sie und sah, dass er die Bildunterschriften herausgeschnitten hatte. Leider hatte er in der zweiten Ausgabe einen Artikel über den Schadensersatzprozess gegen meine Firma entdeckt und dick angestrichen. Jetzt wusste ich, warum es mit dem Pool nicht mehr so eilig war. Ausschnitt aus dem Text "In Steilkurven braucht man nicht zu lenken, man fährt eigentlich immer nur geradeaus" zuerst erschienen in A.N.Y.P. Nr. 9 | 1999
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